Lebenskraft

Das Mädchen ist seit weniger als 15 Tagen hier im Nutre Hogar. Sie ist 13 Monate alt, hat schon volles Haar, lacht nicht und ist das unterernährteste Kind, was ich bis jetzt im Nutre Hogar zu Gesicht bekommen habe. Seit -ich glaube- letzten Donnerstag hat sie Fieber. Sie konnte noch nicht mit den anderen Kinder spielen, da sie noch in der „Eingewöhnungsphase“ war und dann Fieber bekam. Letzte Woche betrug ihr Hämoglobinwert 7, ziemlich tief, er sollte nämlich laut Flor zwischen 11-14 liegen.

Heute morgen habe ich Flor, die einzigen Angestellten, die nicht von Nutre Hogar, sondern vom Ministerio de Salud, dem Gesundheitsministerium bezahlt wird, und das Mädchen zum Minsa Capsi (MINisterio de SAlud Centro de Atención  Primaria en Salud Innovador) in der Finca 30, das vom Bundesministerium neu gebautes Gesundheitszentrum) begleitet, damit die Kleine dort von einem Doktor untersucht wird. Der Krankenhausbesuch bestand viel aus Warterei und vielen  Ortwechseln. Nach zweimal Fiebermessen und vier verschiedenen Räumen, in denen ich mit dem Kind auf dem Arm gesessen und gewartet habe, wurde erneut Blut abgenommen. Das Ergebnis hat Flor in Schrecken gesetzt: der Hämoglobinwert ist auf 4 weiter gesunken. Flor machte mir mit Bildsprache deutlich, dass der Wert 2 den Tod bedeutet.

Ab da war klar, dass das Mädchen stationär behandelt werden muss. Ihr wurde eine Fusion angelegt und ich habe lange, lange Zeit (wie viel Zeit vergangen ist, weiß ich gar nicht) damit verbracht, sie auf meinem Schoß halten. Ich habe zugeschaut wie die Tröpfchen aus der Flasche in die den Infusionsschlauch tropfen und zwischendrin hat mich immer wieder die Angst gepackt, weil ich mir nicht sicher war, ob sie gerade einfach einschläft oder im Sterben liegt (schließlich wurde ich noch nie mit so einer Situation konfrontiert und habe mir inzwischen alle Szenarien ausgemalt). Trotz Schwäche und Schmerzen, hat sie immer wieder meine Hand von ihrem kleinen, zerbrechlichen Körper weggeschoben hat, da sie mich noch nicht kennt. Als sie über 100 ml an Flüssigkeit aufgenommen hat, ging es nach erneutem Warten mit dem Krankenwagen in die Notaufnahme. Flor ist mit dem Auto gefahren und ich lag zum ersten Mal auf der Liege im Rettungswagen (die Patientin auf dem Schoß). Dort habe ich bestimmt nochmal eine halbe Stunde im Stehen mit dem Mädchen auf dem Arm mit Warten verbracht bis Flor alles geregelt hat und das unterernährte Kind mitgenommen hat. Der nette Krankenwagenfahrer hat mich wieder zum Nutre Hogar gefahren und als ich im Wagen nach der Zeit gesucht habe, habe ich zwar 1:39 gelesen, hielt es aber nicht für möglich, dass es die Uhrzeit sei. Aber ja, über 4 ½ h sind vergangen…

 

Ich hoffe, dass Esberilda jetzt in guten Händen ist, sie genug Lebenskraft hat diese Phase zu überstehen und ich sie bald lachen sehe.

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